"Als wäre die Ferne von den Menschen schon Nähe zu Gott. Und alles Heilige stets eine Insel: Die ausweglose Weite der See verleiht ihr eine Bedeutung, die über einen kahlen Fels im Meer hinausreicht; naht man ihr, wirkt sie darin nicht verloren, sondern nimmt mehr und mehr den Horizont ein, von Vögeln umzirkelt, unumschränkt wie das Versprechen eines Landfalls. Das gleißend dunkle Meer macht sie dazu; so unversöhnlich sie von ihm umbrandet wird, so unerbittlich widersetzt sie sich ihm; aus seinen Wellen aufragend, ein Sinnbild des Uraktes der Schöpfung, scheint sie sich zugleich über sie hinauszuheben, um sie an ihren Schroffen wieder vor allen Anfang zurückzuwerfen. Inmitten der See widerstrebt sie der zerstörerischen Macht, die jeder Schöpfungsgewalt eignet, und ist zugleich nur ein Ufer ihr. Sie widersteht ihr wie das Leben dem Tod und ist zugleich doch umschlossen von ihm, Klippe um Klippe eine Gestalt gewordene Auflehnung, aus dem sie als Berg aufragt, ihr Gipfel ein Symbol der Erlösung und zu erlangender Ewigkeit; all das birgt sie in sich wie ein steinerner Schrein."
Raoul Schrott, Tristan da Cunha, 474

Es ist schwer, dieser großartigen Beschreibung etwas hinzuzufügen.
Eine Insel ist der trostlosen Grenzenlosigkeit des Meeres ausgesetzt. Sie trotzt seiner Gewalt wie das Leben dem Tod. Nähert man sich ihr vom Meer aus, taucht sie am Horizont auf wie eine Verheißung. Sie erscheint wie ein phallisches Aufbegehren gegen die auflösende Gewalt des Meeres.



Schrott, Raoul: Tristan da Cunha. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 2006