Mythen


 
"Nicht umsonst wird der Wagen des Dionysos von Panthern und Tigern gezogen; denn es war dieser wilde Taumel der Begeisterung, in welchen die Natur vom Anblick des Wesens geräth, den der uralte Naturdienst ahndender Völker in den trunkenen Festen bacchischer Orgien gefeiert. Wogegen jene innere Selbstzerreißung der Natur, jenes wie wahnsinnig in sich selbst laufende Rad der anfänglichen Geburt und die darin wirkenden furchtbaren Kräfte des Umtriebs in anderem schrecklicherem Gepräng uralter götterdienstlicher Gebräuche, durch Handlungen einer sich selbst zerfleischenden Wuth, wie Selbstentmannung (es sey um die Unerträglichkeit der drückenden Kraft oder ihr Aufhören als zeugender Potenz auszudrücken), durch Herumtragen der zerstückelten Glieder eines zerrissenen Gottes, durch besinnungslose rasende Tänze, durch den erschütternden Zug der Mutter aller Götter [d. h. der Rhea, Ischtar oder Kybele], auf den Wagen mit ehernen Rädern, begleitet von dem Getöse einer rauhen, theils betäubenden theils zerreißenden Musik, abgebildet. Denn nichts ist jenem inneren Wahnsinn ähnlicher als die Musik, die durch das beständige excentrische Ausweichen und Wiederanziehen der Töne am deutlichsten jene Urbewegung nachahmt und selbst ein drehendes Rad ist, das, von Einem Punkt ausgehend, durch alle Ausschweifungen immer wieder in den Anfang zurückläuft."
F. W. J. Schelling, Die Weltalter
in: Ausgewählte Schriften 4, 254f.
Name  PW 


Schelling, F.W.J.: Ausgewählte Schriften (6 Bände). Frankfurt am Main: Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), 1985