"Wenn einer, müßiggehend am Ufer des Meeres, zu entziffern versucht, was angesichts seiner in ihm keimt; wenn er – auf den Lippen das Salz und im Ohre die schmeichelnde Liebkosung oder den Stoß des Rauschens oder des Pralles der Flut – sich diesem allgewaltigen Gegenwärtigsein zur Antwort stellen will, findet er in sich angerissene Gedankenreihen, Fetzen von Gedichten, Schattenbilder von Taten, Hoffnungen, Bedrohlichkeiten – ein ganzes Durcheinander durch diese Größe aufgerührter und hin und her geworfener Anwandlungen und Bilder – Größe, die sich darbietet, die sich wehrt, die durch ihre Ausdehnung aufruft zu unternehmen, und durch ihre Tiefe abschreckt, es zu wagen."
Paul Valéry, Blicke auf das Meer
in: Über Kunst, 128

Sich mit allen Sinnen auf den Anblick, die Melodie, den Geschmack und den Geruch des Meeres einzulassen, löst Kaskaden von Empfindungen in uns aus. Da fluten Bilder und Worte wie rätselhafte Metaphern einer anderen Zeit, Geröllfontänen aus Bruchstücken unseres Lebensmosaiks schießen empor, Erinnerungsfetzen schleudern aus der Brandung, und die aufgewühlte Trauer um das Nichtgewagte schattet den Horizont. Die geahnte Tiefe und das Ausmaß der Macht bannen unseren Mut, sich den inneren Dämonen zu stellen.



Valéry, Paul: Über Kunst. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Bibliothek Suhrkamp), 1960