"Wie oft erzählen wir unsere eigene Lebensgeschichte? Wie oft rücken wir sie zurecht, schmücken sie aus, nehmen verstohlene Schnitte vor? Und je länger das Leben andauert, desto weniger Menschen gibt es, die unsere Darstellung infrage stellen, uns daran erinnern können, dass unser Leben nicht unser Leben ist, sondern nur die Geschichte, die wir über unser Leben erzählt haben. Anderen, aber – vor allem – uns selbst erzählt haben."
Julian Barnes, Vom Ende einer Geschichte, 117

Was treibt uns dazu, unsere Lebensgeschichte im Nachhinein immer wieder zu verändern? Sind es Größenphantasien, Eitelkeit, Scham? Oder diktiert uns die Trauer um Nichtgelebtes, nur Erträumtes phantastische Geschichten, mit denen wir bewusst oder unbewusst Korrekturen an unserem gelebten Leben vornehmen?
Eine wahre Lebensgeschichte kann es nicht geben. Es gibt viel zu viel an Lücken, Vergessenem, das überbrückt werden muss, um eine konsistente Geschichte zu bewahren. Deshalb glauben wir unseren Fälschungen auch selbst.



Barnes, Julian: Vom Ende einer Geschichte. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011