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Kafka wohnt in einem Hotel am Südbahnhof, unternimmt mit ihr ausgedehnte Spaziergänge in den Wienerwald. Wenn er neben ihr im Gras liegt, scheint er seine Angst und seine Krankheit fast vergessen zu haben und ist glücklich.
Später schreibt er ihr:
"So habe ich nur eine halbe Seite geschrieben und bin wieder bei Dir, liege über dem Brief, wie ich neben Dir lag damals im Walde." (16.7.1920)
Kafka unterstützt Milena finanziell und schreibt ihr täglich. In diesen Briefen gesteht er seine Schuldgefühle gegenüber Felice Bauer und anderen Frauen, die er mit seinem Verhalten gequält habe.
Milena bittet ihn, nach Wien zu kommen, kündigt an, daß sie ihm ein Geständnis machen wolle. Kafka weigert sich unter Berufung auf seine Arbeitsverpflichtungen, doch seine Begründung ist fadenscheinig. Milena schlägt ihm vor, ihm ein Telegramm ins Büro zu schicken mit der Mitteilung, daß jemand aus der Familie krank geworden sei, damit er Urlaub nehmen könne. Doch er erklärt, daß er außerstande sei zu lügen. So zeigt sich der Unterschied zwischen ihnen, der sie später trennen wird: seine Zögerlichkeit und ihre Art, kompromißlos zu begehren.
"Du schreibst, daß Du vielleicht nächsten Monat nach Prag kommst. Fast möchte ich Dich bitten: komm nicht. Laß mir die Hoffnung, daß Du, wenn ich Dich einmal in äußerster Not bitten werde zu kommen, gleich kommen wirst, jetzt aber komme lieber nicht, Du müßtest ja wieder wegfahren." (Prag, 18.7.1920)
"Heute früh begann ich plötzlich zu fürchten, in Liebe zu fürchten, herzbeklemmend zu fürchten, Du könntest plötzlich durch irgendeine Kleinigkeit irregeführt nach Prag kommen." (Prag, 19.7.1920)
Wiederholt beschwört er seine Angst, er glaubt, ihm fehle es an "Lebenskraft", er hat Angst, das nicht einlösen zu können, was andere von ihm erwarten, fürchtet das Bild, das sie von ihm haben, das er mit seiner Wirklichkeit glaubt enttäuschen zu müssen. Und so schreibt er seine Briefe vor allem aus der Angst heraus und aus mangelndem Selbstvertrauen.
"Für mich ist es ja etwas Ungeheuerliches was geschieht, meine Welt stürzt ein, meine Welt baut sich auf, sieh zu, wie Du (dieses Du bin ich) dabei bestehst. Um das Stürzen klage ich nicht, sie war im Stürzen, über ihr Sich-aufbauen klage ich, über meine schwachen Kräfte klage ich, über das Geboren-werden klage ich, über das Licht der Sonne klage ich." (Meran, 12.6.1920)
"... man macht sich schon in der Gegenwart zum Kampfplatz der Zukunft, wie soll dann der zerwühlte Boden das Haus der Zukunft tragen?" (Prag, 8.7.1920)
Franz Kafka, Briefe an Milena