"Der Fremde, der dich begehrt und dich davon überzeugt, daß gerade du mit all deiner Besonderheit das Ziel seiner Wünsche bist, bringt eine Botschaft von all dem, das du sein könntest, zu dir, wie du wirklich bist. Die Ungeduld, diese Botschaft zu empfangen, wird oft fast so groß sein wie dein Lebensgefühl überhaupt. Der Wunsch, sich selbst kennenzulernen, übersteigt noch die Neugier. Doch muß er ein Fremder sein, denn je besser du, wie du wirklich bist, ihn kennst und genauso: je besser er dich kennt, desto weniger kann er dir von deinem möglichen, aber unbekannten Selbst offenbaren."
John Berger, G., 176

Das Begehren des Anderen erreicht oder berührt einen umso mehr, als der Begehrende als fremd empfunden wird, jenseits einer narzisstischen Identifikation. Nur so gewinnt man über ihn Zugang zur eigenen Fremdheit als einer eigenen inneren Unendlichkeit.



Berger, John: G. Roman. Leipzig: Reclam, 1990