"Wir sagen von einem, daß er ein Doppelleben führe; führt er nicht manchmal gerade erst ein ganzes, ein wirkliches, also sein eigenes Leben dadurch, daß er scheinbar zwei verschiedene Leben führt? Und wie viele führen ein halbes Leben, weil sie nicht den Mut haben, ein ganzes zu führen, das anderen wie ein Doppelleben erschiene?"
Arthur Schnitzler, Aphorismen und Betrachtungen Band 2, 145

Der Zwang zur Eindeutigkeit bedeutet oft eine Selbstverstümmelung. Jemand, der sich dem entzieht und ein Doppelleben führt, lebt neben seinem legitimen, vorzeigbaren Dasein einen Traum, eine Leidenschaft, einen weiteren Entwurf, eine Sehnsucht aus. Es ergänzt, bereichert, vervollständigt so das reduzierte Leben zu einer Ganzheit, für die meistens der Mut fehlt.



Schnitzler, Arthur: Aphorismen und Betrachtungen. Band 2: Der Geist im Wort und der Geist in der Tat. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1993