"Dieselbe Sehnsucht, die einmal offen und ziellos war, bewirkt, daß eines Tages ein Vermissen entsteht, die Verklärung eines tatsächlichen, abgeschlossenen Geschehens. Es ist aber viel schmerzlicher zu erfahren, was einem fehlt und genommen wurde, als bloß zu wissen oder nur zu spüren, daß etwas fehlt und noch nicht da ist. Die Erinnerung ist eine von anschaulich Unerreichbarem erfüllte Sehnsucht. Stiche von Düften, Bildern, Stimmen. Die Masse des Unerreichbaren bleibt immer gleich; sie fließt von einem Kolben der Sanduhr um in den anderen: das Unerreichbare, das uns später innehalten und zurückblicken läßt, unterscheidet sich von dem, das uns einst antrieb, nur darin, daß es ein Gesicht besitzt."
Botho Strauß, Beginnlosigkeit, 53f.

Die Sehnsucht, die das Gewesene und Verlorene betrauert, ist eine schmerzlichere als die, die hoffnungsvoll zum Horizont blickt auf etwas hin, das noch nicht greifbar ist. Das Gepäck der Erinnerung wiegt schwerer als der Rucksack voller Hoffnung. Die Brücke zwischen "nicht mehr" und "noch nicht" ist die Unerreichbarkeit.



Strau�, Botho: Beginnlosigkeit. Reflexionen �ber Fleck und Linie. M�nchen/Wien: Carl Hanser Verlag, 1992