"Die menschliche Sexualität ist eine Sisyphosiade, ein Impotenz-Traum. Unentwegt strebt sie einem Höhepunkt von Natur entgegen, zu dem es uns hinaufzieht mit Versöhnung versprechender Kraft. Jedoch den Höhepunkt seiner Natürlichkeit zu erleben, ist dem Mängelwesen nicht verstattet: es erreicht ihn nie. Oder etwa in der kurzen, eine halbe Sekunde währenden Bewußtseinstrübung auf dem Überroll des Orgasmus? Und wenn es, wie die meiste Zeit, zur glücklichen Ohnmacht nicht langt, die Seligkeit zwei Zentimeter flacher ausfällt? Das Glück schafft Maßstäbe und Werteskalen, das Relative ist immer zur Stelle und erkennt keinen wirklichen Höhepunkt an."
Botho Strauß, Paare, Passanten, 54f.

Menschliche Sexualität ist ein sich wiederholendes Scheitern, weil man nie das erreicht, wovon man träumt. Der erträumte Höhepunkt – ein Selbstverlust, den man überlebt und sich aneignen kann – ist immer mehr als das, was erreicht wird. Deshalb die sprichwörtliche postkoitale Traurigkeit.



Strauß, Botho: Paare, Passanten. München: dtv, 1984